Thema des Monats Januar

Neandertaler

Menschenfamilie©Neanderthal-Museum Mettman

Moderne Menschen wie wir, Homo sapiens, sind vor rund 200000 Jahren in Afrika entstanden und seit etwas mehr als 40000 Jahren in Europa heimisch. Neben unserer Menschenform ist der zwischen ca. 300000 und 40000 v.Chr. im westlichen Eurasien nachgewiesene Neandertaler mit Abstand am besten erforscht. Er stellt den archetypischen Urmenschen dar, bietet er doch in vielerlei Zusammenhängen die Möglichkeit, uns selbst im Spiegel zu betrachten, unsere eigene Art bewusst wahrzunehmen. Neandertaler verfügten über hochwertige Technologien, und sie stellten vielfältige Werkzeuge aus Stein und – seltener erhalten – aus Knochen, Holz und Pflanzenfasern her. Sie produzierten Klebstoffe, benutzten Pigmente und setzten sich mit dem Tod auseinander. Spätneandertaler trugen auch Schmuck. Und sie hatten ein weit entwickeltes Kommunikationssystem, das wohl eine gut elaborierte sprachliche Komponente einschloss. Doch während moderne Menschen in Europa die figürliche Kunst und Musik entwickelt haben, finden sich in Neandertaler-Fundplätzen keine derartigen Innovationen. Die vielen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Menschenformen äußern sich nicht zuletzt im Genmaterial, tragen doch Europäer bis heute ein paar Prozent Neandertalergene in sich.

Aus dem Editorial von Nicolas Conard. AiD 3/2016

Neu: AiD 122 – Neandertaler des Nordens

Neandertaler streiften durch ein riesiges Gebiet von Portugal im Westen bis nach Sibirien im Osten. Im Norden wurde ihr Lebensraum durch das eiszeitliche Klima beschnitten: Vor 300000 bis 40000 Jahren verlief diese Linie mitten durch Norddeutschland und Polen. Die Funde sprechen von Großwildjägern mit technisch ausgefeilter Ausrüstung, die sich um geschwächte Mitglieder kümmerten, heilende Pflanzen nutzten und ihre Toten bestatteten. Grund genug, sich das Leben der Neandertaler am Rand der damals bewohnbaren Welt genauer anzusehen.


Neues aus der Einhornhöhle

Seit dem 19. Jh. zieht es Archäologen und Anthropologen in die sagenumwobene Einhornhöhle. Neue Forschungen liefern nun Einblicke in die Jagdaktivitäten des Neandertalers im Harz.

Wechselwarm – Das Wendland vor 80000 Jahren

Lichtenberg in Niedersachsen ist ein absoluter Glücksfall für die Forschung. Der Platz wurde vom frühen Menschen mehrfach aufgesucht: So ist es möglich, Verhalten und Anpassungsstrategien an eine sich wandelnde Umwelt zu untersuchen.

Sniffelhunde in den Niederlanden

In den Niederlanden haben die Eiszeiten quasi eine Tabula rasa hinterlassen. Dennoch häufen sich in letzter Zeit Hinweise auf die Anwesenheit des Neandertalers.


Ausbreitung bis nach Finnland?

Textauszug aus dem Artikel zum Titelthema:

Die Frage, ob Neandertaler während des Mittelpaläolithikums das heutige Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland – den baltischen Schild oder auch Fennoskandinavien – besiedelten, ist seit vielen Jahren Gegenstand einer
kontroversen Debatte. Bereits in den 1950er-Jahren interpretierte der dänische Zoologe Ulrik Møhl-Hansen Damhirschknochen aus einer etwa 120 000 Jahre alten Schicht, die er im dänischen Hollerup entdeckte, als zerschlagene Reste der Jagdbeute des Neandertalers. Spätere Untersuchungen ergaben jedoch, dass diese Knochen offensichtlich durch natürliche Prozesse zerbrochen worden waren.

In Finnland wurden vor einigen Jahren aus der Wolfshöhle (»Susiluola Cave«) einige Funde aus Grabungen in etwa 130 000 Jahre alten Sedimenten gemeldet.

Lesen Sie weiter in der AiD 122.

Die Sprache der Neandertaler

Einige Forscher sind der Ansicht, dass der Unterschied bezüglich Demografie und sozialer Organisation auf ungleichen sprachlichen Kommunikationsfähigkeiten des Neandertal und des anatomisch modernen Menschen beruht. Die Sprachfähigkeit, das Ergebnis einer anspruchsvollen Abstimmung zwischen geistigen und körperlichen Strukturen, hinterlässt auf den Fossilien jedoch nur indirekte Spuren. Der Neandertalmensch verfügte über eine mit unserer vergleichbare Form der artikulierten Sprache, wie sein genetisches Rüstzeug und sein Zungenbein erkennen lassen, das die unentbehrliche Befestigungsfunktion für die zum Schlucken und zur Lautformung benötigten Muskeln übernimmt. Auch wenn die Form des Zungenbeins bei Neandertalern und anatomisch modernen Menschen ein wenig voneinander abweicht, lässt sich daran nämlich eigentlich nicht feststellen, ob artikulierte Sprache möglich war oder nicht. Jüngste Erkenntnisse der Genomforschung deuten demgegenüber darauf hin, dass Veränderungen in der Gensequenz FOXP2 Probleme bei der Stimm- und Lautbildung hervorrufen. Dieses Gen stimmt nun aber bei Neandertalern und anatomisch modernen Menschen überein. Folglich nimmt man an, dass es bei Stimm- und Lautbildung keinen bedeutsamen Unterschied zwischen diesen beiden Menschenformen gab.


Textauszug aus „Homo Sapiens. Der große Atlas der Menschheit“ s. Buchtipp

Knochen und Gene – Ein kleines Stück Neandertaler steckt noch in uns

Auszug aus dem Beitrag in AiD 3/2016

Seit 1997 die ersten 379 Basenpaare der mitochondrialen DNA des namengebenden
Neandertalers gewonnen werden konnten, ist die Paläogenetik ein wesentlicher Bestandteil der Forschung zum Thema Neandertaler und der menschlichen Fossilgeschichte geworden. Seither sind beeindruckende Fortschritte gelungen.

Als Richard Green und Kollegen 2010 eine erste Version des Neandertal-Genoms veröffentlichten, konnten 5,3Millionen Basenpaare aus mehr als einer Milliarde DNA-Fragmenten extrahiert werden. Die Studie beruht im Wesentlichen auf Knochenproben von drei morphologisch wenig aussagekräftigen Fragmenten aus der Vindija-Höhle in Kroatien und mehreren Neandertalerknochen aus Kroatien, Spanien, Russland und dem Neandertal.

Der amerikanische Paläoanthropologe John Hawks zog als Vergleich für die extrahierte Menge an pulverisierter Knochensubstanz die Größe einer Aspirintablette heran, um zu verdeutlichen, welch geringe Menge an Knochensubstanz notwendig ist, um mithilfe der Paläogenetik weitreichende Schlüsse zu ziehen. Wesentliche Fortschritte machten vor allem die Forscher der Abteilung für Evolutionäre Genetik des Max- Planck-Institutes für evolutionäre Anthropologie in Leipzig unter Svante Pääbo, zusammen mit dem Department of Genetics der Universität Harvard um David Reich. Seit Ende der 1990er-Jahre wird hier in internationalen Kooperationen versucht, die Herkunft des Neandertalers zu klären sowie vor allem seine Erbinformationen und die Vermischung mit dem anatomisch modernen Menschen zu entschlüsseln.

Lesen Sie weiter in der AiD 3/2016 (nur als E-Paper)

Nachlese

Sowohl AiD als auch ANTIKE WELT haben in der Vergangenheit mehrfach zum Thema Neandertaler berichtet. Hier einige Meldungen der letzten Wochen zum nachlesen.

Neandertaler veränderten Ökosystem

Untersuchungen in Neumark-Nord bei Halle zeigen: Neandertaler nutzten schon vor 125.000 Jahren Feuer, um Waldgebiete offen zu halten, und hatten damit einen weit größeren Einfluss auf ihre lokale Umgebung als bislang angenommen.

Wissenschaftler stellen Vogeljagd der Neandertaler nach

Anhand von Fossilfunden und wissenschaftlichen Rollenspielen rekonstruieren die Forscher, dass die Neandertaler wahrscheinlich Feuer und Werkzeuge benutzten, um Dohlen, gemeinschaftlich schlafende Vögel, nachts in Höhlen zu blenden, einzusperren und zu fangen.

Höhle diente als Depot für Neandertaler- und Tierknochen

In der Guattari Höhle bei Circeo fanden Forschenden die fossilen Überreste vom Neandertaler. Die Knochen werden neun Individuen zugeordnet. Zudem fanden Forschende Knochen von Hyänen, die Reste von Elefanten, Nashörnern, Höhlenbären und dem Auerochsen.

Neanderthal Museum Mettman –
wbg KulturCard Partner

Zeitreise durch 4 Millionen Jahre Menschheitsgeschichte erleben

Die Ausstellung zeigt die Spuren der Menschheit – von ihrer langen Reise aus den Savannen zu den Großstädten heutzutage. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Neanderthalern. Die lebensgroßen Figuren im Museum wurden auf Grundlage der gefundenen Humanfossilien mit wissenschaftlichen Methoden rekonstruiert.

Am 10. Oktober 1996 wurde mitten im Neandertal, wo 1856 das weltweit bekannteste Humanfossil geborgen wurde, das neue Neanderthal Museum eröffnet.  Mit rund 160.000 Besuchern im Jahr gehört es zu den erfolgreichsten archäologischen Museen in Deutschland. Seine Präsentation ist zweisprachig in Deutsch und Englisch.

Passende (Hör-) Bücher und e-Books zum Thema finden Sie im wbg Verlag


Alle Titel sind über den jeweiligen Link direkt bei der wbg bestellbar.

Homo Sapiens

Der große Atlas der Menschheit

Mit zahlreichen Karten und Infografiken verdeutlichen die Autoren die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Erdgeschichte und Menschheitsgeschichte. Lebhaft und anschaulich zeigt der Atlas, woher wir kommen, wie wir die Welt besiedelten und warum die Menschheit überhaupt entstehen konnte!

Denken wie ein Neandertaler

Archäologische Befunde belegen, dass der Neandertaler komplexe technische Verfahren beherrschte und die meiste Zeit seines Lebens in einer kleinen Familiengruppe verbrachte. Thomas Wynn und Frederick L. Coolidge geben einen faszinierenden Einblick in das wahre Leben und die Kultur des Neandertalers. Sie zeichnen ein bemerkenswertes Porträt des Neandertalers und zeigen auf, wie wir heute noch in Geist und Kultur mit ihm verbunden sind.

Meine europäische Familie

Warum wir alle miteinander verwandt sind

In »Meine europäische Familie« revolutioniert Karin Bojs mittels Genealogie unser Wissen über die Vergangenheit: Bemerkenswerter als die Unterschiede sind nämlich die Gemeinsamkeiten im genetischen Erbe! So zeigt sie, dass Identität und Kultur keineswegs unwandelbare Größen einer Gesellschaft sind – und deswegen auch nicht durch Einwanderung bedroht werden können!