Thema des Monats Juni

Höhlen- und Gletscherarchäologie

Seit mehreren Jahrzehnten erwärmt sich unsere Erde durch den menschengemachten Klimawandel, und als direkte Folge dieses mittlerweile stark beschleunigten Prozesses schmilzt das Eis von Gletschern und an den Polen. Dabei treten mitunter einzigartige Zeugnisse aus der Vergangenheit zutage, die zur Begründung eines vergleichsweise jungen Spezialgebiets der Archäologie geführt haben: der Gletscherarchäologie (glacial archaeology)…

Thomas Reitmaier, aus der Einführung „Archäologie im Eis“ des AiD Sonderheftes Gletscherarchäologie

Kulturerbe in Zeiten des Klimawandels

2021 jährt sich zum 30. Mal die Auffindung des Südtiroler Eismannes. Die Mumie lag im Gletschereis auf 3210 m Seehöhe, unterhalb des Hauslabjochs . Die wissenschaftliche Untersuchung des 5300 Jahre alten Ötzi samt Kleidung und Ausrüstung dauert bis heute an. Weltweit haben 64 Forschungsgruppen an dem „Mann aus dem Eis“ gearbeitet. Für zahlreiche naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Forschungsdisziplinen lieferte seine Mumie neue Informationen aus unserer Vorgeschichte.

Die Rekonstruktion des Mannes aus dem Eis. © Südtiroler Archäologiemuseum/Ochsenreiter

In den vergangenen Jahrzehnten seit seiner Entdeckung, hat sich durch den Klimawandel und den damit einhergehenden Eisverlust eine glacial archaeology mit globaler Dimension aufgestellt. Die Gletscherarchäologie beschränkt sich keinesfalls auf die Alpenregion, sondern umfasst auch weite Landschaften in Skandinavien, Grönland, Nord- und Sudamerika sowie die riesigen Gebirgszonen des asiatischen Kontinents. Hinzu kommen neue, in ihren Dimensionen noch kaum absehbare Herausforderungen wie das Auftauen des Permafrosts in den (sub-)arktischen Gebieten. Dort führen die steigenden Temperaturen auch zur Wiederentdeckung jahrtausendealter Überreste eiszeitlicher Tiere von einer besonderen Erhaltungsqualität.

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AiD SH 2121 Gletscherarchäologie

Der Herausgeber des Sonderheftes, Thomas Reitmaier, ist Kantonsarchäologe des Archäologischen Dienstes Graubünden. Seit 2006 ist er darüber hinaus Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abt. Ur- und Frühgeschichte der Universität Zürich.

Gletscherarchäologie

Der kulturhistorische Wert Jahrtausende alter Eisfunde ist bedeutsam. Sie erzählen Geschichten aus der Vergangenheit und tragen bei zur Klärung von Forschungsfragen. Weshalb waren Menschen in den Alpen und auf Gletschern unterwegs? Mit welcher Ausrüstung? Was wissen wir über ihren Alltag, ihr Wirtschaften, ihr Zusammenleben? Ein internationales Team von Archäologen, Historikern, Geographen und Experten aus weiteren Disziplinen beleuchtet diese und weitere Fragen aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Archäologie in Höhlen

Grundsätzlich ist in nahezu allen Höhlen, die in vorgeschichtlicher Zeit einen Zugang besessen haben, mit archäologischen Funden zu rechnen. Auch paläontologische Funde können in jeder Höhle vorkommen. Höhlen sind sowohl geologische Phänomene als auch wertvolle Archive der Natur- und Menschheitsgeschichte. Sie stellen einen einzigartigen unterirdischen Landschaftstyp und sehr spezielle Ökosysteme dar.

„Das südwestliche Harzvorland gehört zu den geologisch besonders interessanten und abwechslungsreichen Regionen Niedersachsens. Ausgedehnte Karstgebiete prägen über weite Strecken das Landschaftsbild. Vor allem die wasserlöslichen Sedimentgesteine Gips und Dolomit, die in einem schmalen Streifen entlang des Harzrandes zutage treten, haben eine faszinierende Naturlandschaft mit einer breiten Vielfalt beeindruckender Karsterscheinungen geformt. Neben steil aufragenden Felsformationen, tiefen Erdfällen, ergiebigen Quellen und einer karsttypischen Vegetation gehören hierzu auch mehrere Höhlen, die bereits in urgeschichtlicher Zeit vom Menschen aufgesucht wurden. Neben der Einhornhöhle bei Scharzfeld, deren Eingangsportal dem Neandertaler vor 130 000 Jahren Unterschlupf bot, sind vor allem die Steinkirche bei Scharzfeld, die Jettenhöhle bei Düna und die Lichtensteinhöhle bei Osterode am Harz zu nennen. Die erst seit 1972 bekannte Lichtensteinhöhle erreichte überregionale Aufmerksamkeit, als 1980 mehrere Räume wiederentdeckt wurden, die seit fast 3000 Jahren nicht mehr vom Menschen betreten worden waren; zahlreiche Menschenknochen sowie Bronzeobjekte aus der jüngeren Bronzezeit wurden gefunden.“
Bernhard Reuter
Landrat des Landkreises Göttingen, Auszug aus dem Vorwort „Rätsel Lichtensteinhöhle“

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Edition AiD Ausgabe 121

Cover AiD Edition

Rätsel Lichtensteinhöhle

Die Entdeckung des archäologischen Teils der Lichtensteinhöhle im Jahr 1980 war ein Glücksfall für die archäologische Forschung. Seit dem bewusst erfolgten Verschluss der Höhle zu Beginn des 9. Jh. v. Chr. war diese nicht mehr von Menschen betreten worden und so blieben die Überreste zahlreicher Menschen ebenso wie ein bedeutendes Fundinventar über fast drei Jahrtausende hinweg vollkommen unversehrt erhalten. Dank der überaus guten DNA-Erhaltung in den Menschenknochen war es der anthropologischen Forschung möglich, anhand des genetischen Fingerabdrucks insgesamt 57 Verstorbene zu identifizieren.

Die Höhlenfundstellen der Schwäbischen Alb

Versailles, Taj Mahal, Schwäbische Alb – die Aufzählung mag auf den ersten Blick ungewöhnlich anmuten.

Und doch ist sie vollkommen berechtigt. Außergewöhnliche Orte sind es alle und eins haben sie gemeinsam: den Status Weltkulturerbe!
Wie hat es die schwäbische Provinz geschafft, in diesen illustren Kreis aufgenommen zu werden? Hier, in den Höhlen der Schwäbischen Alb, erhielten sich allerfrüheste Belege menschlicher Schöpferkraft und Ausdrucksfähigkeit bis heute. Einzigartige Funde wie das »Vogelherd-Pferdchen«, der »Löwenmensch« und viele weitere Artefakte aus dem Vogelherd, der Stadel-Höhle im Hohlenstein, dem Geißenklösterle und dem Hohle Fels belegen, dass spätestens vor 40.000 Jahren Kunst, wie wir sie heute kennen, existierte – ein grundlegendes Merkmal dessen, was Menschsein bedeutet. Figürliche Kunst, Musik und religiöse Traditionen, wie sie alle heutigen Gesellschaften kennen, halfen unserer Menschenart, ihre Lebenswelt zu meistern, sich letztlich über den gesamten Erdball zu verbreiten und die archaischen Menschen, darunter die Neandertaler, abzulösen.
Die Anerkennung als Teil des UNESCO-Weltkulturerbes verpflichtet uns alle auf den Schutz und Erhalt dieser einmaligen Orte und Objekte einerseits, und stellt anderseits eine außerordentliche Würdigung der Arbeit von Archäologen der Universität Tübingen dar. Sie und andere haben in den Höhlen der Schwäbischen Alb gegraben und die Ursprünge von Kunst, Musik und kultureller Modernität, wie sie heute verstanden werden, systematisch nachgezeichnet. Anfang 2016 wurde das Nominierungsdossier für die schwäbischen Höhlen bei der UNESCO eingereicht und im Sommer 2017 wurden sie in die Liste aufgenommen.

Prof. Dr. Claus-Joachim Kind (links) ist Referent für Steinzeitarchäologie beim Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg.
Prof. Dr. Nicholas J. Conard ist Leiter der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an der Universität Tübingen,
außerdem wissenschaftlicher Direktor des Urgeschichtlichen
Museums Blaubeuren und Beiratsmitglied der AiD.
Sie haben zahlreiche Grabungskampagnen in den Eiszeithöhlen der Alb geleitet und zentrale Funde zutage gefördert.

Charakteristische Fundinventare des Aurignacien, bestehend aus typischen Stein- und Knochengeräten sowie Schmuck- und Kunstobjekten, wurden bislang in sechs Höhlenfundstellen der Schwäbischen Alb gefunden. Diese liegen in Talabschnitten der Flüsse Ach (ca. 15 km westlich von Ulm) und Lone (ca. 20 km nordöstlich von Ulm). Es handelt sich um das Geißenklösterle, die Sirgensteinhöhle und den Hohle Fels im Achtal sowie die Vogelherdhöhle, die Stadel-Höhle im Hohlenstein und die Bocksteinhöhle im Lonetal.
Weitere Informationen zu den Höhlen finden Sie unter anderem hier:

https://www.iceageart.de/hoehlen/

Buchtipp s. unten

©urmu Blaubeuren

urmu Blaubeuren

wbg KulturCard-Partner

Das Urgeschichtliche Museum Blaubeuren „urmu“ ist das zentrale Museum für die Höhlen am Südrand der Schwäbischen Alb, die zu den wichtigsten altsteinzeitlichen Fundstellen der Welt gehören. Neandertaler und frühe moderne Menschen lebten hier während der letzten Eiszeit. Die weltweit einmaligen Kunstwerke, die in den Höhlen gefunden wurden, werden in Schatzkammern thematisch vorgestellt. Sie eröffnen einen ganz neuartigen Zugang zur geheimnisvollen Eiszeitkunst.

Passende (Hör-) Bücher und e-Books zum Thema finden Sie im wbg Verlag


Alle Titel sind über den jeweiligen Link direkt bei der wbg bestellbar.

Als der Mensch die Kunst erfand

Eiszeithöhlen der Schwäbischen Alb

Die frühesten modernen Menschen haben nicht nur Kunst geschaffen, sondern auch Musik gemacht – das belegen Funde von Weltrang aus den Eiszeithöhlen der Schwäbischen Alb. Was verraten die Funde über den Homo sapiens und seine Lebenswelt? Der reich bebilderte Band zeigt einzigartige Tier- und Menschenfiguren wie Fundstätten und erzählt die Geschichte dazu.

Vulkane, Schluchten, Höhlen

Geologische Naturwunder in Deutschland

Tiefeingeschnittene Canyons, wilde Küsten, zerklüftete Hochgebirgslandschaften, einsame Moore, aktive Geysire oder bizarre Felsformationen – man muss nicht immer ins Ausland reisen, um solche Wunder der Natur zu finden. Reich bebildert und prägnant erläutert zeigt der eindrucksvolle Text-Bildband unsere höchst abwechslungsreichen Landschaften und deren vielfältige Gesteinswelt von ihrer schönsten Seite.

Klimagewalten

Treibende Kraft der Evolution

Vor ca. 65 Mio. Jahren beendet der Einschlag eines großen Meteoriten das Zeitalter der Dinosaurier, damit kommen wir in die Erdneuzeit bzw. in die Ära der Säugetiere. Die Alpen und der Himalaya beginnen sich aufzufalten, das Klima ist zunächst noch sehr warm, wird aber zunehmend unbeständiger. Der reich illustrierte Band schreibt eine hoch spannende Klimageschichte. Herausgegeben von Prof. Harald Meller und Dr. Thomas Puttkammer.

Die Alpen

Idylle in der Krise

Fernab der romantischen Verklärung dokumentiert der Alpenexperte Werner Bätzing, wie Massentourismus, Transitverkehr und Zersiedelung seit Jahren einen der eindrucksvollsten Lebensräume Europas verändern. Er zeigt damit die andere Seite der Alpenwelt, dort, wo sich der Mensch zu breit gemacht hat, wo Naturschutz und Landschaftsplanung hinter Profitgier und Vergnügungssucht zurückstehen. Entstanden ist daraus ein eindrücklicher Bildband, der Gegenwart und Zukunft der Alpen direkt erlebbar macht und die ganze Gewalt dieses Wandels vor Augen führt.

Ötzi 2.0

Ausstellungskatalog 2011

Einzigartige Funde wie eine Bärenfellmütze, ein Regenmantel aus Gras und eine komplette Überlebensausrüstung gewähren einmalige Einblicke in den Alltag der Kupferzeit. Renommierte Wissenschaftler vieler Fachgebiete, wie z.B. Archäologie, Biologie, Chemie, Medizin, Kriminalistik und Forensik, erforschen seit zwanzig Jahren die Mumie unter jedem nur erdenklichen Aspekt, zum Teil mit Methoden, die eigens für Ötzi entwickelt wurden. Viele ihrer überraschenden Erkenntnisse werden in diesem Bildband erstmals veröffentlicht.

auch als E-Book erhältlich

Gletscher

e-Book

Auf einer Reise rund um die ganze Welt führt dieses Buch tief hinein in die eisige Welt der Gletscher. Erleben Sie die Eiskolosse in ihrer ganzen Majestät in atemberaubenden Fotos, begleitet von Erläuterungen, die auch für den Laien verständlich sind. Wie Gletscher entstehen und funktionieren, wie sie die Landschaft formen und welche Wechselwirkungen mit dem Klima sie prägen zeigt dieser einzigartige Band.