Dorfgründung Heidelberger Sachsenspiegel

Dorf und Stadt im Mittelalter

Illustration aus dem Heidelberger Sachsenspiegel, Landrecht fol. 26 verso: Dorfgründung von wilder Wurzel. Der Grundherr übergibt dem rechtlichen Vertreter der Bauern, dem „Baumeister“, eine besiegelte Urkunde die das Erbrecht gewährt. In der mittleren Szene wird Wald gerodet und rechts baut ein Bauer an einem Haus. Digitalisat des Heidelburger Sachsenspiegels f. 26v (Universitätsbibliothek Heidelberg) Public domain, via Wikimedia Commons

In einer frühmittelalterlichen Siedlung lauerten gefährliche Krankheitserreger hinter jeder Ecke

Mangelnde persönliche Hygiene, krankheitsübertragende Ratten und allgemeine ungesunde Lebensumstände – das Mittelalter wird gemeinhin als ein Zeitalter allgegenwärtiger Krankheiten angesehen. Der größte Teil unseres Wissens über mittelalterlichen Epidemien und Krankheitserreger bezieht sich allerdings auf das Spätmittelalter nach dem 12. Jahrhundert.

Geschichtspark Bärnau-Tachov: Mittelalter ungefiltert

In Bärnau liegt das größte archäologische Freilandmuseum des deutschsprachigen Raums. Wissenschaftler, »Hobby-Archäologen« und Handwerker schufen nahe der tschechischen Grenze mit dem Geschichtspark Bärnau-Tachov Seite an Seite ein authentisches Abbild des Mittelalters. Naturliebhaber kommen auf dem nahe gelegenen Goldsteig auf ihre Kosten.

Songo Mnara

In Afrika ist Archäologie eng mit den Forschungsfeldern Altsteinzeit und Antike verbunden. Seit einigen Jahren wächst aber nun auch das Interesse an der vorkolonialen, mittelalterlichen Geschichte. An der Küste Ostafrikas liegen einige wichtige Fundstätten aus dieser Zeit. Zwar werden die Handelsstädte der Swahili dort bereits seit Jahrzehnten erforscht, sie bieten aber immer noch Raum für neue Entdeckungen.

Dörfer im Mittelalter Cover AiD Sonderheft

Das AiD Sonderheft

Da die Vollständigkeit einer Karte aller in Deutschland archäologisch untersuchten Dörfer kaum zu erreichen ist, zeigt diese »nur«
jene, die im Sonderheft erwähnt sind – immerhin etwa 90 Fundplätze. Karte: C. Krauskopf, BLDAM; Kartengrundlage: © openstreet-map contributors

Wendepflug und Webstuhl – Dörfer im Mittelalter

Das mittelalterliche Dorf ist ein vielschichtiges Phänomen. Als Lebensort von Menschen umfasst es einerseits dingliche Hinterlassenschaften, andererseits aber auch die komplexen Vorgänge und Beziehungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft.

Wendepflug und Webstuhl berühren verschiedene Aspekte des mittelalterlichen Dorflebens. Der Wendepflug steht für die Produktion von Lebensmitteln, also für die Beschäftigung der allermeisten Menschen des Mittelalters. Diese Arbeiten wurden überwiegend vom Dorf aus verrichtet – obgleich es natürlich auch in den Städten lebende Menschen gab, die im Haupterwerb Landwirtschaft betrieben, ebenso wie städtische Bauernhöfe. Als Innovation des Mittelalters ermöglichte der Wendepflug die Ausweitung der Anbauflächen und die Steigerung der Erträge. Dies hatte eine »Vergetreidung« und damit auch Spezialisierung zur Folge, die sich im Laufe des Mittelalters verstärkte – weg von der reinen Bedarfswirtschaft hin zur Überschussproduktion mit ihren wechselseitigen Auswirkungen auf das Abgabensystem, den Handel, die Gründung von Märkten und Städten sowie die Verstärkung der Arbeitsteilung in der Gesellschaft.

Der Webstuhl symbolisiert, dass man auf dem Land nicht nur vom Ackerbau lebte. Die Rohstoffe für die Textilherstellung stammten aus landwirtschaftlicher Produktion und der Weiterverarbeitung wurde ebenfalls im Dorf nachgegangen. Viele weitere Handwerkszweige kann die Archäologie im mittelalterlichen Dorf greifen, auch solche, die vor dem Hintergrund der schriftlichen Überlieferung gemeinhin eher als städtisches Handwerk gelten. So standen beispielsweise Webstühle oft in Grubenhäusern, die nur mit archäologischen Methoden fassbar werden. Das Grubenhaus mit Webstuhl steht sinnbildlich dafür, dass das mittelalterliche Dorf mit all seinen Aspekten nur interdisziplinär erforscht werden kann.

Der Mittelalterarchäologie gebührt hierbei eine Führungsrolle. Denn in Schrift- und Bildquellen gibt es viel zu wenig Informationen über dörfliche Struktur, ländliche Bauten oder auch Alltag und Arbeitswelt der Dorfbevölkerung.

Ins Blickfeld archäologischer Forschung und Denkmalpflege rückten die auf hochmittelalterliche Wurzeln zurückgehenden Dörfer erst vergleichsweise spät. Zunächst standen die prähistorischen Epochen, der römische Kulturniederschlag und die archäologischen Hinterlassenschaften der frühgeschichtlichen Alamannen, Bajuwaren, Franken oder Sachsen im Fokus – zumal die Gräber der Zeit vom 6. bis zum 8. Jh. auch ansprechende und aussagekräftige Grabbeigaben führen. Das Mittelalter galt dahingegen allgemein als archäologisch nicht untersuchenswert, gab es doch »ausreichend« Schriftquellen zu dessen Erforschung, die sich daher vor allem in der Geistes- und Kulturwissenschaft
abspielte.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gab es verstärkte Ausgrabungsaktivitäten auf bis ins Spätmittelalter besiedelten Plätzen. Erst die Stadtkerngrabungen seit den 1980er- und 1990er-Jahren vermochten es schließlich, das Eis für die Mittelalter- und Frühneuzeitarchäologie zu brechen.

Dorfformen im Mittelalter

Welche Struktur hat ein Dorf? Gibt es »typische« Dorfformen? In der älteren Forschung wurde davon ausgegangen, dass die Aufteilung der Parzellen und der landwirtschaftlichen Flächen bereits im Frühmittelalter einem System gefolgt war, das man aus den Schriftquellen für das späte Mittelalter herausgelesen hatte: Die »Markgenossen« in der Markgenossenschaft seien alle gleichberechtigt gewesen, hätten die gleiche wirtschaftliche Grundlage gehabt und Grund und Boden gemeinsam genutzt. Allerdings geben die schriftlichen Quellen diese Verhältnisse weder für die germanische Zeit noch für das frühe Mittelalter her.
Mittlerweile geht die Forschung davon aus, dass die Eigennutzung einzelner Familien die ältere Bewirtschaftungsform ist. Damit wird der einerseits seitens des Marxismus-Leninismus postulierten Vorstellung der Markgenossenschaft als früher Form eines Sozialismus, andererseits der im Nationalsozialismus dominierenden volkstümelnden Idee eines solchen nationaler Prägung der Boden entzogen. Nach derzeitiger Auffassung entstanden Markgenossenschaften erst im Zuge des hochmittelalterlichen Landesausbaus. Hintergrund scheint der Bevölkerungsanstieg gewesen zu sein, der die Dorfgemeinschaften zur Expansion drängte und zur Erschließung gemeinschaftlich genutzter Flächen führte.


Der Sachsenspiegel

Das berühmteste deutsche Rechtsbuch des Mittelalters – Sonderausgabe

Seit dem späten 12. Jh. entstanden in mehreren Ländern Europas Rechtsaufzeichnungen. Dabei handelt es sich um die schriftliche Fixierung von mündlich überliefertem Gewohnheitsrecht. Das bedeutendste deutsche Rechtsbuch ist der Sachsenspiegel, zwischen 1220 und 1235 im Harzvorland entstanden. Seine Wirkung war beispiellos. Erst die modernen Gesetzbücher haben ihn verdrängt. Heiner Lück, Rechtshistoriker und international anerkannter Experte, schildert die Entstehung und stellt den Verfasser Eike von Repgow vor. Er erklärt die damalige Praxis von Gerichtsverfahren und zeigt überraschende Verbindungen zur heutigen Rechtssprechung auf. Sein besonderes Augenmerk gilt den prächtig illustrierten Handschriften. Sie sind ein kulturgeschichtliches Zeugnis ersten Ranges und lassen uns die spätmittelalterliche Gesellschaft lebendig und reich an Details im Bild erleben. Themen-Specials, Porträts historischer Persönlichkeiten, Fotos und Dokumente eröffnen ein weites Panorama der Epoche.

Sonderausgabe 2022. (2., unveränd. Auflage 2017) 176 S. mit 120 farb. Abb., 24 x 32 cm, geb. wbg Edition, Darmstadt.